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1,5 Jahre Leinemasch bleibt – wie ist der aktuelle Stand?

Erstellt von Isabel, Isabell | | Der Rest.

Lange war es ruhig um die Initiative. Im Winter gab es nicht so viele Proteste. Doch je grüner es wird, desto lautet wird die Bewegung auch wieder. Die Initiative Leinemasch BLEIBT setzt sich für das Bewahren der Leinemasch, die nah an unserer Schule liegt, als Erholungs- und Naturschutzgebiet in Hannover ein. Sie fordert: Keine Autobahn durch die Leinemasch! So stellt sie sich gegen den Ausbau des Südschnellwegs. Aber wie genau sehen die Hintergründe der Initiative aus und was tut sie, um ihr Ziel zu erreichen? Isabell und Isabel haben recherchiert und interviewt.

„Leinemasch BLEIBT“ ist eine lokale Initiative, die sich im November 2021, also vor über einem Jahr gebildet hat. Viele denken jetzt vermutlich an die Baumhäuser am Rand des Messeschnellwegs bei Döhren, wo die Gruppierung „Ende Gelände“ letzten Herbst mehrere Bäume besetzt hat. Dieses Protestcamp, von den Aktivist*innen auch „Tümpel Town“ genannt, gehört jedoch nicht direkt zu Leinemasch BLEIBT. Die Initiative selbst ruft nämlich weder zu Blockaden noch Besetzungen auf, sondern informiert, recherchiert, vernetzt und unterstützt, bietet so „einen Rahmen“ für Protest. Sie spricht gegen den Südschnellweg-Ausbau aus und für den Erhalt der Leinemasch als Erholungsgebiet und Naturraum. Außerdem sieht sich die Initiative als Teil der weltweiten Klimagerechtigkeitsbewegung. Seit September 2022 gibt es eine Mahnwache, die nach kurzer Winterpause im Januar wieder eröffnet wurde und als Treff- und Austauschpunkt gilt. Zudem macht man auf mehreren Social-Media-Kanälen, unter anderem Instagram, Twitter und Youtube, auf sich aufmerksam.

Aber was genau soll eigentlich mit dem Schnellweg passieren? Und wo liegt die Problematik, die die Aktivist*innen ansprechen?

Das Schnellwegsystem, bestehend aus Süd-, West- und Messeschnellweg, ist von enormer Bedeutung für Hannovers Verkehr. Da es in den 50er-Jahren in Betrieb genommen und seither nie modernisiert oder umfassend saniert wurde, steht jetzt eine umfassende Modernisierung an. Davon betroffen ist auch der Südschnellweg, der durch die Leinemasch führt. So sollen auf der Strecke mehrere Brücken komplett erneuert werden und die Fahrbahn soll um mehrere Meter erweitert werden, damit noch nicht vorhandene Seitenstreifen eingerichtet werden. Denn aktuell ist das Sicherheitsrisiko hoch und die Brücken dürfen nur noch bis 2023 oder 2024 befahren werden. Zudem wird die Brücke über der Hildesheimer Straße zukünftig durch einen Tunnel ersetzt werden, vor allem um die Lebens- und Aufenthaltsqualität im Stadtteil Döhren deutlich zu verbessern. Brücken- und Tunnelbau sollen voraussichtlich bis 2028 abgeschlossen sein.

Das Problem: Für die Baumaßnahmen müssen insgesamt 13 Hektar Grünanlagen- und -flächen gerodet werden. Zwar sollen davon langfristig neun Hektar wiederbepflanzt und rekultiviert werden, aber vier Hektar werden dauerhaft beansprucht sein. Zum Vergleich: Das sind über fünf Fußballfelder. Dennoch wird die Verbreiterung der Fahrbahn in die Leinemasch, wie sie heute ist, einschneiden. Und bis zur Fertigstellung des Projekts kann man wohl mit erheblicher Belästigung durch die Baumaßnahmen rechnen. Leinemasch BLEIBT stellt sich nicht gegen die notwendige Sanierung des Südschnellwegs und die Tunnellösung, sondern kritisiert vor allem die Verbreiterung der Fahrbahn und das Projekt an sich. Man sieht die Pläne als überzogen an, immerhin will Hannover eigentlich bis 2035 klimaneutral sein. Ein Ausbau des Schnellwegsystems ist somit im Hinblick auf Zukunftsfähigkeit und die Verkehrswende durchaus fragwürdig, Leinemasch BLEIBT macht auf die „Absurdität“ des Vorhabens aufmerksam. Auch Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) sieht die Planungen „völlig aus der Zeit gefallen“. Aber es geht der Initiative nicht nur um den Erhalt der Leinemasch hier in Hannover. Für sie sei ein Protest in der Leinemasch auch einer für Klimagerechtigkeit: „Es ist ein Protest, der sich exemplarisch dem Gesamtwahnsinn fortschreitender Vernichtung von Lebensgrundlagen in den Weg stellt. Denn wenn die Leinemasch bleibt, aber der Gesamtwahnsinn nicht endet, gibt es nichts zu gewinnen.“

 

 

Interview

mit Julia Förster von „Leinemasch bleibt“ von Isabel und Isabell

Frage: Welche Aktion fanden Sie innerhalb der Initiative „Leinemasch bleibt“ bisher am eindrucksvollsten?

J. Förster: Also auf jeden Fall diese Verbindung von der großen Mahnwache und der Besetzung, wobei die Besetzung ja nicht wirklich im engeren Sinne unsere eigene Aktion ist, sondern diese nur unterstützt. Und die große Mahnwache hier zu haben, mit dem Küchenzelt, dem Materialzelt und den vielen kleinen Zelten, dass diese Mahnwache immer besetzt war, das war einfach total cool. Dass einfach auch so viele Menschen immer da waren und das so krass unterstützt haben und dass Menschen, die hier AnwohnerInnen waren, vorbeikamen. Manche regelmäßig und morgens einfach immer ihre Kanne Kaffee mitgebracht haben für uns. Das war toll.

Frage: Ab wann würden Sie Proteste als nicht mehr friedlich beurteilen?

J. Förster: Als nicht mehr friedlich? Also, schwierige Frage. Wir haben ja einen Aktionskonsens auf unserer Homepage. Das heißt, alle, die sagen: „Wir machen das im Namen von ‚Leinemasch bleibt‘“, müssen sich zu diesem bekennen. Und da ist ganz klar formuliert: Wir sind immer deeskalativ, von uns geht keine Gefahr für Menschen aus, wir schädigen keine Menschen, und so weiter. Das ist deshalb friedlich für mich.

Frage: Welche Maßnahmen haben Sie vor durchzusetzen, wenn das Versprechen von Verkehrsminister Lies abläuft? (Das Versprechen besagt, dass bis Oktober 2023 keine weiteren Rodungen stattfinden.)

J. Förster: Also wir sind ja jetzt im Sommer einfach immer noch mit unserer Forderung unterwegs und damit zu erklären, dass das was geplant ist, gegen alle Klimagesetze, gegen das Recht der jungen Generation und gegen den globalen Süden verstößt. Und wir werden halt gucken, was dann im Oktober dran ist, wenn trotzdem gerodet werden soll. Wir werden da nicht faule Kompromisse eingehen.

Frage: Wie sehr vertrauen Sie noch auf die Versprechen der Politik nach den Geschehnissen des 5. und 6. Dezember letzten Jahres? (Am 5. und 6. Dezember letzten Jahres wurde der östliche Teil des Südschnellweg-Damms in Döhren gerodet. Dieser Bereich war jedoch zuvor von Aktivisti und dem Konfliktmanagement der Polizei als geschützte Zone ausgehandelt worden.)

J. Förster: Ja, das ist eine irgendwie komplizierte Sache gewesen. An dem Tag hat die Polizei in Rücksprache mit der Landesstraßenbaubehörde zugesagt, dass gewisse Bäume nicht mehr gerodet würden. Und am nächsten Tag wurden diese Bäume gerodet und die Polizei hat bestätigt: „Nee, es gab anderslautende Absprachen“, die Landesstraßenbaubehörde hat gesagt: „Nö, hätten wir gar nicht geben können, die Zusagen“, und dann ist das irgendwie so zwischen „die haben offenbar nicht miteinander geredet“ versickert. Das stärkt das Vertrauen nicht wirklich, aber das hat es an anderen Stellen ja auch schon gegeben und auch im größeren Maßstab. Und das in Lützerath ist danach ja eigentlich nochmal so viel größer ein Beispiel dafür, wie wenig sich man darauf verlassen kann, dass Dinge gut laufen.

Frage: Begegnen Sie in Ihrem Umfeld viel Unverständnis oder verstehen die Menschen Ihr Engagement und unterstützen Sie?

J. Förster: Also ich habe in meinem Umfeld tatsächlich keine Menschen, die es nicht verstehen. Hängt vielleicht auch ein bisschen von meinem Umfeld ab - es gibt glaube ich viele Menschen - was ich dann nicht verstehe - die das total wichtig finden, aber es nicht schaffen, sich selber mit zu engagieren. Aus welchen Gründen auch immer. Das finde ich dann manchmal ein bisschen rätselhaft. Und auch traurig.

Frage: Erhält die Bewegung „Leinemasch bleibt“ Unterstützung von anderen Klimaaktivismus-Bewegungen?

J. Förster: Ja (lacht). Ich glaube, wir sind mittlerweile eine große Familie. Könnte ich so sagen. Also hier vor Ort auf jeden Fall und im größeren Kontext versuchen wir ja auch uns solidarisch zu zeigen, auf vielfältige Weise.

Frage: Was ist für Sie das wichtigste Ziel bei Ihrem Protest?

J. Förster: (Überlegt.) Man würde ja jetzt normalerweise denken: Klar, dass die Leinemasch bleibt. Das ist auch wichtig, aber es gibt ja auch eigentlich so diesen Satz: Wenn die Leinemasch bleibt, aber der Gesamtwahnsinn weitergeht, dann hilft es ja letztlich auch nichts. Also eigentlich geht es darum, klar zu machen, dass wir hier gerade mit der Leinemasch so ein krasses Beispiel dafür haben, was schiefläuft. Und an diesem Beispiel einfach Menschen klar zu machen, dass dagegen etwas getan werden muss. Einfach zu warten und zu sagen: „Naja, die werden das schon irgendwie hinkriegen“, das funktioniert nicht. Und dass das dann einfach viele Menschen verstehen und sich globaler und größer für eine Zukunft engagieren.

Frage: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach Aktivismus für Klimaschutz, beziehungsweise wie viel können Sie als Aktivistin bewirken?

J. Förster: Ich habe neulich so ein Zitat gelesen, das fand ich ganz gut. Das hieß: „Eine Besetzung verhindert niemals eine Rodung. Aber eine Besetzung schafft die Öffentlichkeit und den Raum, um nach Lösungen zu suchen und verschafft dem auch Dringlichkeit.“ Und ich glaube, das ist so das Einzige, was funktioniert. Weil tatsächlich haben Medien erst relevant berichtet, nachdem dann einmal probeweise ein Baum besetzt war und danach hier die Besetzung war. Das ist so, was alle dann irgendwie verstehen, dass Menschen wirklich auch zu Mitteln greifen, bei denen man sehr viel auf eigenen Komfort und freie Zeit und alles Mögliche verzichtet, um klar zu machen: Darum geht’s jetzt, das hat Priorität in meinem Leben, weil es eben so wichtig ist. Und die Schraube hat sich jetzt ja schon hochgeschraubt: Demos mit 1,4 Mio. Menschen in Deutschland haben einfach gezeigt, dass es nichts hilft. Und deshalb müssen Menschen auch deutlicher klar machen, mit einer klaren Priorisierung: „Ich setze mich dafür ein, denn es gibt keine Alternative, als genau jetzt nach dem Recht, den Gesetzen und Abkommen zu handeln. Und wenn ihr das nicht tut, müssen wir da immer wieder drauf hinweisen, dass das nicht geht.“

Frage: Was würden Sie sich von der Gesellschaft wünschen? Was sollte die Bevölkerung und jede Einzelperson tun?

J. Förster: Politisch werden. Selber denken. Nicht glauben, dass es gut wird. Es wird nicht gut. Wir sind auf dem Kurs zur totalen, kompletten Zerstörung dieses Planeten als Lebensraum für die Menschen. Das hört sich immer pathetisch an, deshalb traut man sich das nicht zu sagen, aber es ist Fakt. Und wenn Menschen jung sind, leben sie, schlittern sie in diese Zerstörung. Und es ist total uncool, auch als Lehrer:in, glaube ich, das im Unterricht irgendwie zuzulassen. Weil, was soll man denn den Menschen da erzählen? Lernt für‘s Abi, macht euren Durchschnitt noch ein bisschen besser und dann könnt ihr was studieren und danach ist alles in Schutt und Asche? Das ist ja irgendwie auch keine Botschaft, die man Menschen weitergeben will. Aber es hilft nur jetzt sofort zu sagen: „Okay - So nicht! Es gibt diese Zukunft nicht, auf die Menschen vorbereitet werden in Schulen!“ Die gibt’s einfach nicht! Ich habe auch eine Tochter, die ist auch in der Schule, und es ist einfach elend. Und das was getan werden muss, ist so groß und so undenkbar eigentlich, dass alle lieber weggucken. Bis zu dem Moment, wo es wirklich nicht mehr zu ändern ist und dann einfach auch viel zu spät ist.

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Besetzung im Oktober
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Protest mit Megafon
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NO! zu Abholzung
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Gaanz viele Protestierende
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Zelt in der Leinemasch